VORschau #41
Reallabor Vorarlberg
Datum: 02.10.2024
Die Weiterentwicklung des Tourismus in Vorarlberg wird für vorerst eineinhalb Jahre wissenschaftlich begleitet: Tourismusexperte Professor Dr. Harald Pechlaner und seine Student:innen des Masterstudiengangs „Transformation und nachhaltige Lebensraumentwicklung – Tourismus neu gestalten“ von der Universität Eichstätt-Ingolstadt fokussieren im Reallabor auf die Entwicklung des Lebensraums – analog zur Vorarlberger Tourismusstrategie 2030. Das VORschau-Team hat mit ihm über das Wie, Warum und die Ziele des Projekts gesprochen. Start ist im Oktober.
Es ist eine Kooperation, von der Wissenschaft und Tourismus gleichermaßen profitieren: Im Rahmen des Masterstudiums „Transformation und nachhaltige Lebensraumentwicklung – Tourismus neu gestalten“ baut Professor Dr. Harald Pechlaner von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) einen Projektschwerpunkt auf, der die Theorie in die Praxis bringt.
Erstes Forschungsfeld ist Vorarlberg. „Junge Wissenschaftler:innen werden den Blick von außen einbringen und mit Gastgeber:innen zu verschiedenen Themenkreisen zusammenarbeiten. In welcher Form bestimmen die Akteur:innen selbst“, erklärt Christian Schützinger, Geschäftsführer von Vorarlberg Tourismus, der das Projekt gemeinsam mit Harald Pechlaner aufgleiste. Der frühere Tourismusdirektor in Südtirol hat seit 2003 den Lehrstuhl Tourismus an der KU inne.
Ein Reallabor arbeitet ergebnisoffen. „Es ist ein junger Ansatz. Wenige Regionen haben damit gearbeitet, meist zu Themen wie Energie oder Mobilität. Das Reallabor Vorarlberg ist komplexer, weil es um die Weiterentwicklung des Lebensraums geht“, sagt Harald Pechlaner. „Ziel ist es, den Tourismus in eine neue Ära zu bringen. Wir befinden uns in einer Zeit der Umbrüche, in der wir uns Fragen stellen zu Nachhaltigkeit, Krisen, Wirtschaft, Gesundheit und demographischen Verschiebungen. Dies führt auch zu einem veränderten Reiseverhalten.“
Authentische Geschichten
In der Vergangenheit habe der Tourismus vordergründig auf die Bedürfnisse der Tourist:innen fokussiert – „ein weitverbreiteter Fehler. Wir müssen die Lebensräume ins Blickfeld rücken“, sagt Pechlaner. Tourismus lebe von Geschichten, die auf authentischen Lebensentwürfen basieren. „Um diese geht es im Reallabor. Die Frage ist: Was bedeutet in Zukunft ein gutes Leben im ländlichen Raum?“ Darin fließen Überlegungen ein, wie sich die Rahmenbedingungen in den Bergen verändern werden. „Es soll gelingen, Menschen dafür zu begeistern, Lebensentwürfe im ländlichen Raum weiterzuentwickeln“, hofft der Tourismusexperte.
Wandel braucht Zeit
Den Prozess soll das Reallabor anstoßen. „Wandel braucht Zeit. Es geht nicht um das Geschäft der nächsten 15 Jahre, sondern um die Zukunft des Lebensraums – analog zur Vorarlberger Tourismusstrategie 2030, die auf ‚Orte und Räume für das gute Leben‘ abzielt. Tourismus kann mitgestalten“, erklärt Christian Schützinger. Wandel finde oft in einem Tempo statt, der zu voreiligen Schlüssen und Handlungen führe, meint er. „Wir wollen mit dem Projekt die operative – oft emotionsbehaftete – Hektik herausnehmen und reflektiert auf Veränderungen schauen. Nicht nur auf schneefreie Winter, sondern zum Beispiel auf Mobilitäts- oder Ernährungsverhalten der Zukunft.“ Mit dem Reallabor soll ein Klima der Innovationsfreude geschaffen werden. Als möglichen Denk- und Bildungsraum für solche Prozesse eigne sich das GVA Tourismusnetzwerk. „Gastgeben auf Vorarlberger Art (GVA) hat sich in den vergangenen Jahren als Werkzeug etabliert, das Anliegen der Branche aufnimmt und Unterstützung für Weiterentwicklung bietet.“
Erfahrungen statt Erlebnisse
Warum gerade Vorarlberg? „Das Bundesland hat eine überschaubare Größe mit fließenden Übergängen vom urbanen zum ländlichen Raum. Zudem hat hier der ländliche Raum schon in der Vergangenheit innovative Entwicklungen und kooperative Formen von Dienstleistungen hervorgebracht. Das hat sich erneut bei den Einreichungen zum Vorarlberger Tourismuspreis 2024 gezeigt“, so Harald Pechlaner, der Jurymitglied war. „Vorarlberg ist ein Land, das sich nicht erst auf den Weg macht, es ist bereits unterwegs.“ Die Vorarlberger Baukunst sei ein weiterer Beleg. Es gehe darum, alternative Entwicklungsmöglichkeiten zu finden. „Bestehendes zu bewahren ist zu wenig. Menschen wollen ein sinnerfülltes Leben“, so Pechlaner.
„Tourismus entwickelt sich in eine Form von Erholung, des Suchens und Spürens. Es geht mehr um Selbsterfahrung als um das Sammeln von Erlebnissen“, betont der Tourismusexperte. Dafür brauche es neue Begegnungsräume. „Die vergangenen Entwicklungen haben unsere Gesellschaft polarisiert. Die Sehnsucht, wieder ins Gespräch zu kommen, ist groß.“ Gespräche stehen auch im Reallabor im Zentrum: Die Forschung basiert auf Interviews zwischen den Student:innen von der Universität Eichstätt-Ingolstadt und den Menschen in Vorarlberg. Los geht es im Oktober.